Erfolgreich im Rollstuhl: Linda Wagemann | 16. Nov 2020

Aufschlag, Return, Winner – Linda Wagemann und ihr Trainer Andi Plötz vom TB Erlangen absolvieren eine intensive Übungseinheit in der Max-Elsner-Halle. Nichts unterscheidet das Training von den Einheiten, die Andi üblicherweise mit seinen Tennisschülern bestreitet – außer, dass Linda sich in einem speziellen Rollstuhl über den Court bewegt. Sie ist eine der wenigen Rollstuhlspielerinnen, die sich voll und ganz dem Tennissport verschrieben haben.

Linda und Andi sind schon seit 15 Jahren ein Team. „Nach meinem Unfall habe ich verschiedene Sportart ausprobiert, die ich trotz meiner Behinderung ausüben konnte“, erzählt sie. Aber beim Basketball zum Beispiel, dass bei Rollstuhlfahrer sehr gefragt ist, kam sie mit der großen Anzahl von Rollstühlen auf engem Raum nicht zurecht. So sei sie schließlich beim Tennis gelandet, obwohl sie zu dieser Sportart vor ihrem Unfall kaum Kontakt gehabt habe. „So richtig los ging es aber erst nach meinem Umzug von Nürnberg nach Erlangen, als ich auf den TB Erlangen und Andi Plötz gestoßen bin“, berichtet sie. Seitdem arbeiten die beiden zusammen, aktuell zweimal pro Woche mindesten 1,5 Stunden pro Einheit. „Wenn man diesen Sport richtig professionell betreiben will“, so Linda weiter, „dürfen aber auch gezieltes Kraft- und Ausdauertraining nicht fehlen“.

Linda und ihr Trainer Andi Plötz sind seit Jahren ein erfolgreiches Team.

Denn: Rollstuhltennis stellt eine enorme körperliche Belastung dar. Vor jedem Schlag muss der Stuhl bewegt, gedreht und so in Position gebracht werden, dass sich die Spielerin in der optimalen Schlagdistanz befindet. Der einzige Unterschied: beim Rollstuhltennis darf der Ball vor dem Treffpunkt zweimal aufspringen. „Im Endeffekt müssen auch die Spieler im Rollstuhl alle Schlagvarianten beherrschen“, erklärt Andi Plötz. Ein Unterschied zu körperlich nicht behinderten Aktiven sei die extremere Griffhaltung bei Vor- und Rückhand, da aufgrund der sitzenden Position der Treffpunkt des Balls wesentlich höher sei, also nicht in Hüfthöhe sondern in Bereich von Schultern oder Kopf. Linda schmunzelt: „Auch richtig gute Tennisspieler treffen bei den ersten Versuchen mit dem Rollstuhl keinen Ball“. Um die so wichtige Beinarbeit adäquat zu ersetzen, müssten die „Fußgänger“ erst lernen, mit dem Stuhl richtig zu fahren. Überhaupt spielt der Rollstuhl bei diesem Sport eine zentrale Rolle. Extrem schräg stehende seitliche Räder und kleinere stützende Rollen nach vorne und hinten verleihen ihm Stabilität und Wendigkeit. Einen erheblichen Nachteil sieht Linda allerdings im Preis für dieses Sportgerät. „Da die Stühle für jeden sportlich ambitionierten Spieler individuell angepasst werden, sind sie nicht für unter 5000 € zu haben“, berichtet sie. Dies sei wohl auch ein Grund dafür, dass sich nur wenige Rollstuhlfahrer für den Tennissport entscheiden würden.

Und damit ist auch die Auswahl an Spielpartnern leider begrenzt. Versuche mit „Fußgängern“, die sich tennistechnisch in etwa auf dem gleichen Niveau befanden, seien leider jedes Mal gescheitert: „Das hätte durchaus funktionieren können, aber leider war nie die letzte Bereitschaft da, sich auf den Vergleich mit einer Rollstuhlspielerin einzulassen“. Ganz hervorragend klappt dagegen die Zusammenarbeit mit ihrem Trainer Andi Plötz vom Turnerbund. „Andi hat sich gut auf mich eingestellt, er fordert mich richtig im Training aber es macht mit ihm immer sehr viel Spaß“, lobt Linda ihren Tennislehrer. Der gibt das Lob gerne zurück: „Linda ist eine ehrgeizige und fleißige Schülerin, die immer mit großer Freude trainiert.“

Linda hat es mit ihrem sportlichen Ehrgeiz schon weit gebracht. Über viele Jahre nahm sie an internationalen Turnieren auf verschiedenen Kontinenten teil und schaffte es auf den 50. Platz der Weltrangliste, auf der sich aktuell immerhin 250 Sportlerinnen tummeln. „Als ich vor etwa 15 Jahren mit dem Sport ernsthaft begann, gab es gerade mal ein Turnier in ganz Deutschland, und das waren die deutschen Meisterschaften“ erinnert sie sich. Linda meldete sich damals mutig zu diesem Turnier und spielte sich prompt in die nationale Spitze. Die Folge waren Einladungen zu speziellen Fördermaßnahmen und Berufungen in die deutsche Auswahl, mit der sie mehrfach am World-Team-Cup teilnehmen durfte. „Ich war damals die Nummer drei bei den deutschen Damen und wurde einige Male im Einzel und im Doppel eingesetzt“. Mit diesen Nominierungen verbindet Linda auch ihre schönsten Tenniserlebnisse. „Im Deutschlandtrikot auf internationaler Ebene zu spielen, das war schon etwas ganz Besonderes“, erinnert sie sich. Im Nachhinein bedauert sie ein wenig, dass die engen Kontakte zu Spielerinnen von allen Kontinenten, gegen die sie gespielt und mit denen sie nach den Turnieren auch gefeiert habe, über die Jahre wieder verloren gegangen seien.

Nach einer längeren Turnierpause, in der sie aber nie mit dem Training ausgesetzt hatte, griff sie wieder aktiv ins Wettkampfgeschehen ein. Einen Anreiz dazu erhielt sie durch das neu gegründeten Projekt „Tennis für alle“, das unter Federführung des Deutschen Tennis Bundes, der privaten Gold-Kraemer-Stiftung und der Aktion Mensch den Tennissport für Menschen mit Behinderung auf allen Ebenen öffnen möchte. Im Zuge dieser Initiative wurde für leistungsorientierte Rollstuhltennisspieler, die nicht Mitglieder der Nationalmannschaft sind, eine Serie von sechs Turnieren pro Jahr ins Leben gerufen, bei denen je nach Platzierung Punkte vergeben werden. Geplant ist, aus den erzielten Punkten eine nationale Rangliste abzuleiten. Der erste Wettbewerb dieser Serie wurde im Januar in Bremen ausgetragen. Linda erreichte nach insgesamt drei Siegen und nur einer Niederlage – im Halbfinale gegen den späteren Turniersieger – auf Anhieb den dritten Platz (wir berichteten ausführlich auf der TB-Homepage).

Höchste Konzentration: Linda bei der Vorhand.

Dann kam Corona und wirbelte den Turnierkalender gehörig durcheinander. Die Wettbewerbe wurden der Reihe nach abgesagt, erst Anfang September konnte Linda bei den Offenen Kölner Rollstuhltennis-Meisterschaften wieder ins Turnierleben zurückkehren. Es gelang ihr erfolgreich, denn sie landete am Ende unter 24 Teilnehmern auf dem 6. Platz. Die tennisfreie Zeit füllte Linda mit Kraft- und Konditionstraining. „Ich bin sämtliche Berge in meiner Nähe immer wieder rauf und runter gerollert“, berichtet sie. (Über ihre großartige Leistung bei den Deutschen Meisterschaften, die vom 2. bis 4. Oktober in Leverkusen nachgeholt wurden, berichten wir gesondert!).

Die tollen Ergebnisse spornen die Erlangerin an und sie möchte gerne noch an weiteren Turnieren teilnehmen. „Ein Handicap ist jedes Mal die lange Anreise, da die Turniere hauptsächlich in Westdeutschland ausgetragen werden“, bedauert sie. Überhaupt ist sie der Meinung, dass Rollstuhltennis gerade in Bayern (noch) nicht den Stellenwert wie in anderen Landesverbänden besitzt. „Beim Thema ‚Inklusion‘ sind uns die anderen Verbände leider ein Stück voraus“, berichtet sie und verweist auch auf die Internetseite grenzenlos-tennis-de, auf der die umfangreichen Aktivitäten des Inklusionsbeauftragten des Deutschen Tennis Bundes, Niklas Höfken, dargestellt werden. „Dadurch ist schon sehr viel in Bewegung gekommen“, meint Linda und ergänzt: “Viele Menschen mit Behinderung wissen meiner Meinung aber noch gar nicht, dass man im Rollstuhl Tennis spielen kann, deshalb ist es wichtig, dass Verbände und Vereine hier entsprechende Angebote bereitstellen“. Sie gibt die Hoffnung nicht auf, dass sich durch diese Bemühungen und auch durch das neue Projekt „Tennis für Alle“ noch weitere körperlich behinderte Sportler für den Tennissport begeistern lassen.

Autor: Alex Karger